Lyrische Grüße im Mai

Auch über die Entstehung des Gedichtes "Die Schwestern" gibt es von Mörike eine amüsante Schilderung, entnommen seinem Brief an Wilhelm Hartlaub vom 7. November 1837:

„etwas Nettes habe ich erlebt, das muß ich Dir gleich frischweg mittheilen. Ich ging heute Morgen, etwa um halb 11, bei ziemlichem Wind, aber sehr schöner Sonn am Bach hinunter spazieren. Wir Beide, glaube ich, haben den Weg nie zusammen gemacht. Er ist auf der rechten Seite des Baches, hart am Vörrenberg hin und man sieht durch das Erlengebüsch über die Wiesen weg auf die nahe Chaussee, (die Neustadter nemlich) mit der man lang in gleicher Linie bleibt. Auf einmal höre ich Mädchengesang, mehrere Stimmen, vom Städtchen her und ich bleibe stehen. Es dauert kurze Zeit, so kommen ihrer drei hinter dem Vorsprung jener hohen Wand herum, an der Du mit Konstanze schon vorüberginst. Die eine, die Schlankste des Kleeblatts, lief in der Mitte, und sang besonders klar und keck im rüstigen Daherschreiten, die andern wenigstens nicht falsch. Die Melodie, schön, eigenthümlich was man nur sagen kann. Vom Text verstand ich nur von Zeit zu Zeit ein Wort: Wir Schwestern – wir schönen, dies kehrte immer wieder. Endlich hörten sie auf. Im Heimgehen sann ich nach, wie ich den Text am schicklichsten bekomme. Und sieh! In weniger als 10 Minuten hatte ich ihn. Ich gehe nemlich durch den Garten und finde die ledige Johanna Bort, die uns gewöhnlich arbeitet, mit Schoren beschäftigt. "Hanne! Kann sie nicht ein Lied – es kommen die und die Worte drin vor". Sie besann sich ein wenig. "Ja wohl kann ichs, Herr Pfarr". "So sag Sie es her! Nur ohne Anstand".

Die Schwestern

Wir Schwestern zwei, wir schönen,
So gleich von Angesicht,
So gleicht kein Ei dem andern,
Kein Stern dem andern nicht.

Wir Schwestern zwei, wir schönen,
Wir haben lichtbraune Haar,
Und flichtst du sie in einen Zopf,
Man kennt sie nicht fürwahr.

Wir Schwestern zwei, wir schönen,
Wir tragen gleich Gewand,
Spazieren auf dem Wiesenplan
Und singen Hand in Hand.

Wir Schwestern zwei, wir schönen,
Wir spinnen in die Wett,
Wir sitzen an einer Kunkel,
Und schlafen in einem Bett.

O Schwestern zwei, ihr schönen,
Wie hat sich das Blättchen gewendt!
Ihr liebet einerlei Liebchen -
Und jetzt hat das Liedel ein End.

Eduard Mörike, Cleversulzbach, 1837

"Was aber das Liedchen von vorhin betrifft, da hab ich Dir einen kleinen Bären aufgebunden. Es ist von mir und hat sich neulich im Bett unmittelbar nach dem Erwachen wie von selbst gemacht. Ich wollte nur, daß Du es unbefangen lesen sollst… und mir dann schreiben, ob es den Eindruck eines Volksliedes auf Dich machte, oder nur halb oder gar nicht. Du zeigst es nicht weiter…"
(Aus: "Zu Cleversulzbach im Unterland", Helmut Braun, Rudolf Schwan, Werner Uhlmann; Möriketexte im Original)

Den Mitwanderern vom letzten Sonntag, dem 22. Mai, dem "Internationalen Museumstag" zur Erinnerung an einen schönen und informativen Nachmittag auf dem Mörikepfad. Einen Teil des Weges, von Mörikes seinerzeitigem Spaziergang sind wir ja gemeinsam gegangen.
Allen anderen Leserinnen und Lesern zur Freude und Kenntnis, dass der große deutsche Lyriker von 1834 bis 1843 in Cleversulzbach als Pfarrer wirkte. Durch sein literarisches Werk hat er Spuren hinterlassen, die bis in unsere Zeit nachwirken.

Im Mai 2016-w.u.


Mörike-Museum, Donnerstag, 19. Mai 2016

Am Verrenberg von Paul JauchGroßansicht Am Verrenberg von Paul Jauch